Mein Sommermärchen mit Flügeln

Mein Sommermärchen mit Flügeln

Diesen Sommer habe ich etwas unglaublich Wundervolles erlebt. Ein Erlebnis, das ich für immer in meinem Herzen tragen werde. Wir haben einen kleinen Grünfink gerettet, groß gezogen und in die Freiheit entlassen.

Meine Kinder und ich sind am Rhein spazieren gegangen. Wie eigentlich immer, bewaffnet mit zwei kleinen Eimern zum Schätze oder Müll sammeln. Als wir uns der Rheinpromenade näherten, hörten wir immer deutlicher ein klägliches Piepsen. Ein kleiner Vogel, der noch nicht fliegen konnte, war aus dem Nest gefallen.

Der NaBu weist ausdrücklich darauf hin, dass Vogelbabys nicht einfach mitgenommen werden sollen. Die Mutter versorgt die aus dem Nest Gefallenen meist weiter. In das natürliche Geschehen derart einzugreifen ist falsch. Außer es handelt sich um eine Gefahrensituation. Dann ist es für die Vogelmama zu gefährlich den Kleinen noch weiter zu füttern.

Die Rheinpromenade war voller Menschen, freilaufender Hunde und Laufrad fahrender Kinder – ich sah da für die Weiterversorgung keine Chance und beschloss kurzerhand, den kleinen Vogel mitzunehmen. Meine Kinder waren selig. Ich war aufgeregt – was frisst so ein kleiner Vogel? Wie bekomme ich das in den kleinen Schnabel rein? Und um welche Vogelart handelt es sich eigentlich?

Bei einem Spaziergang hatte ich mal ein kleines Vogelnest gefunden. Das stellten wir in eine Kiste, der Boden wurde mit Moos ausgebettet. Meine ältere Tochter nannte den Kleinen feierlich „Pieps“. Ich hätte ihn gern Flint genannt, nach dem Sänger von Prodigy, Keith Flint. Er hatte frisurmäßig einfach eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm.

Bei einem Tierfutterhersteller kauften wir Vogelfutter, das ich im Mörser zerkleinerte, mit Wasser aufdünnte und in eine kleine Spritze aufzog. Der kleine Vogel war sofort mit an Bord. Ich sag euch, es war so herzergreifend niedlich, wie er piepste, mit seinen kleinen Flügeln schlug und seinen Schnabel aufriss, bis etwas zu Futtern darin landete. Mit einer Pipette bekam er Wasser. In der ersten Nacht konnte ich kaum schlafen vor Aufregung.

Am nächsten Morgen wurde ich schon sehr früh wach – der kleine Vogel piepste was das Zeug hielt! Und das ab jetzt ca. alle zwei Stunden tagsüber. Das hört sich vielleicht stressig an. Aber das war es nicht, es war einfach nur hinreißend. Und der kleine Vogel wuchs und wuchs. Und irgendwann machte er die ersten Flugversuche.

Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing gebetsmühlenartig meinen Kindern klar zu machen, dass er ein freier Vogel ist. Dass wir ihn nicht behalten, sondern in die Freiheit entlassen würden. Dass er frei geboren wurde und wir nur eine vorübergehende Station in seinem Leben sind.

Sein Gefieder fing an sich zu verändern. Es war ein kleiner Grünfink, den wir da groß zogen!

Wir fingen an, Zeit mit ihm im Garten zu verbringen und er saß lange Zeit und mit Vorliebe in unseren Haselnussbäumen. Zum Fressen kam er angeflogen und nachts holten wir ihn rein. Bis zu dem Tag, an dem ich beschloss, dass er sicher genug fliegen konnte. Und dann blieb er draußen. Seine erste Nacht in Freiheit konnte ich wieder nur schlecht schlafen, Pieps war mir unglaublich ans Herz gewachsen. Mein kleiner Federfreund.

Am nächsten Morgen wurde ich, wie seit er bei uns war jeden Morgen, wieder lautstark begrüßt. Alleine draußen schlafen ging, alleine fressen noch nicht. Er suchte noch immer stark unseren Kontakt. Einmal parkten wir unser Auto, stiegen aus und riefen nach ihm. Er kam ganz aufgeregt angeflattert, landete auf dem Autodach und piepste. Ein anderes mal kam er in die Küche geflogen und landete auf meinem Kopf, um mir mitzuteilen, dass er gerne fressen möchte.

Wenn ich ihn rief, antwortete er mit einem kleinen „Pieps“. Das war so schön. Dann wusste ich, er ist da und es geht ihm gut.

Langsam dehnte ich die Zeiträume, in denen ich nicht fütterte, aus. Und langsam fing der kleine Pieps an, sich selbst was zu suchen. Irgendwann stellte ich fest, dass unsere Nachbarn auch anfingen, ihn zu füttern. Es fühlte sich schön an, dass Pieps auch andere glücklich macht, und diese Freude zu teilen. So viele Zaungespräche kreisten um den kleinen Vogel.

Er reagierte auf unsere Stimme, er fraß Haselnüsse aus unserer Hand und er besuchte die Kinder, wenn sie im Garten spielten. Mindestens einmal am Tag ließ er uns wissen, dass es ihm gut geht. Wie sehr habe ich es geliebt ihn zu beobachten. Damit haben wir wirklich viel Zeit verbracht diesen Sommer. Einfach nur beobachten und mit dem Herzen aufsaugen. Wenn ich das so schreibe, fühlt es sich an wie eine frei erfundene Geschichte aus einem Kinderbuch. Aber diese Geschichte haben wir wirklich erlebt. Und mit jeder Faser genossen.

Sein Radius, in dem er sich bewegte, dehnte sich aus. Er reagierte immer weniger zuverlässig auf meine Stimme. Er war ein richtig stattlicher Grünfink geworden. Und irgendwann kam er nicht mehr. Ich war sehr traurig. Bei jedem Blick in den Garten fehlte etwas. Ich lockte und rief, aber er kam nicht. Es kann alles passiert sein, ich werde es nie erfahren. Aber ich werde nie vergessen, wie meine große Tochter mich mit ihren sechs Jahren anschaute und mich mit den Worten tröstete: „Aber Mama, er ist doch ein freier Vogel.“

Pieps war dieses Jahr mein Sommermärchen. Mein Sommermärchen mit Flügeln. Und ich freue mich, diese Geschichte mit euch teilen zu können.

Alles Liebe,

Eure Elli

Die wunderbare van_tarsia hat über Instagram von Pieps erfahren und war auch ganz verzaubert von der Geschichte. Um mir eine Freude zu machen, hat sie dieses Bild von mir mit meinem kleinen Federfreund gemalt. Ich liebe es und es wird mich noch oft von meinem Sommermärchen mit Flügeln träumen lassen.

Elli Böttcher
elli@elliboettcher.de
3 Kommentare
  • Nadine
    Geschrieben um 20:39h, 23 September Antworten

    Ist das lieb? und so ein flottes Vogelhaus

    • Elli Böttcher
      Geschrieben um 20:50h, 23 September Antworten

      Hey Nadine! Wie schön, dass dir mein Sommermärchen gefällt – vielleicht sollte ich mir an dir ein Beispiel nehmen und ein Pixie-Buch daraus machen? Hihi… Und ja, das Vogelhaus ist zauberhaft. Vielen Dank noch einmal auf diesem Weg dafür!
      Alles Liebe,
      Deine Elli

  • Anita Burzinski
    Geschrieben um 10:30h, 08 Dezember Antworten

    Liebe Elli, ich habe mich soeben nochmals an Deinem Sommermärchen erfreut und es sind mir fast die Tränen gekommen vor Rührung über Deine wunderbare Beschreibung dieser Tatsachen-Geschichte. Wir haben ja intensiv miterlebt, wie der kleine Vogel heranwuchs und zur Freude aller das Familienleben intensiv beeinflußte. An dieses Ereignis werdet ihr sicher noch lange denken und euch daran erfreuen.

    Liebe Grüße
    Deine Anita

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